Mit den Vinzentinerinnen aus Hildesheim unterwegs – Frauenpower in Peru

22. September – 08. Oktober 2023

Ich sitze in Reihe 54, letzte Reihe ganz hinten links. Ich blicke in ein riesengroßes Flugzeug mit vollen Sitzreihen, die Turbinen sind so laut, dass ich nicht schlafen kann. Vor mir liegen noch weitere 12 Stunden Flug. Wir sind gerade in Madrid abgehoben und ich weiß noch nicht ganz, was mich erwartet…

Alles begann mit einer Mail von unserer Pfarrgemeinde Referentin Frau Fink: „Stefan wäre das nicht etwas für dich?“. Ich dachte mir erst, dass ich das sowieso nicht machen würde. Die Anmeldefrist für die Begegnungsreise war sowieso schon abgelaufen. Ich fragte trotzdem nach und am Ende war noch genau ein Platz frei für mich. Der Rest war „himmlische Fügung“.

Am Flughafen im Lima angekommen, schaffte ich es nicht einmal den ersten Zebrastreifen zu überqueren, ohne dass mich die erste Schwester herzlichst in Empfang nahm. Bereits hier breitete sich der herzliche südamerikanische Spirit aus.

Mit einer Gruppe von 16 Personen durfte ich an der „Reina del Mundo“ Schule während der deutschen Woche im Stadtteil La Molina, Lima teilnehmen. Ebenfalls arbeiteten wir auch an verschiedenen sozialen Projekten der Vinzentinerinnen mit. Die Gruppe bestand zu einem Drittel aus jungen Leuten und zu zwei Dritteln aus Erwachsenen und langjährigen Unterstützer*innen der Kongregation.

Durch die Diversität in der Gruppe konnten Herausforderungen beim Aufbau einer Suppenküche und eines Brotbackofens im Stadtteil Villa María del Triunfo, in der Partnerpfarrei der Schule gut gemeistert werden. Der Stadtteil liegt zum Teil an Berghängen, wo vor allem Menschen unterer sozialen Schichten aus ländlichen Gebieten sich ansiedeln, in der Hoffnung in der Großstadt ein besseres Leben führen zu können. Die Folgen sind urbane Armut und hohe Kriminalität. Auch unser Einsatz vor Ort war nicht ungefährlich. Durch die deutsche Genauigkeit, der südamerikanischer Improvisationsfähigkeit und der jugendlichen Arbeitskraft im Team konnten wir aber etwas Nützliches hinterlassen, was unseren lateinamerikanischen Brüdern und Schwestern langfristig hilft.

Das Team der jungen Leute wohnte im Aspirantinnenhaus auf dem Schulgelände und tauschte sich auch nach Feierabend, oft bis in die späte Nacht hinein, über gesellschaftliche Probleme in Peru, aber auch über Religion und interkulturelle Begegnung aus. Hier konnten neue Freundschaften entstehen und auch unterschiedliche Ansichten im geschützten Raum dargestellt werden.

Nach etwa einer Woche teilte sich die Gruppe auf. Ein Teil fuhr über die legendäre Panamericana in die Wüstenstadt Ica um ein Grundstück zu besichtigen, welches den Vinzentinerinnen zugesprochen wurde. Ich aß gerade eine kalte Pizza vom Vorabend, als wir auf dem Weg nach Ica in eine Polizeikontrolle gerieten. Wir wurden aber direkt durchgewunken, als der Polizist das Habit der Ordensfrau auf dem Beifahrersitz sah. Das beeidruckte mich sehr. Es zeigt, dass die Schwestern in Peru anerkannt werden und der Ordensstand einen hohen Stellenwert hat. In Deutschland ist das kaum vorstellbar, ich muss bis heute immer wieder schmunzeln, wenn ich daran denke.

Ab Oktober 2025 soll mit Gottes Hilfe, viel Schweiß und Herzblut in Ica eine neuer Schwesternkonvent mit angeschlossenen Initiativen und Projekten entstehen, ganz im Spirit des Heiligen Vinzenz von Paul. Ich bin gespannt, wie sich dies entwickeln wird…

Die andere Gruppe flog nach Trujillo, im Norden von Peru, um das Kinderheim der Kongregation zu besuchen. Mit den Kindern wurde ein Ausflug ans Meer unternommen, um einmal raus aus dem Alltag zu kommen. Die Teilnehmer*innen waren ergriffen von den Schwestern vor Ort, mit welcher Hingabe und Liebe sie sich um die Schutzbedürftigsten der Gesellschaft kümmern.

Am Tag der deutschen Einheit gab es eine große Schulversammlung und wir stellten uns als Gruppe vor. Ich präsentierte die heimische Automobilindustrie im passenden Poloshirt. Das Poloshirt fand in der Schulgemeinschaft so große Beliebtheit, dass ich mich dazu entschloss es verlosen zu lassen. Dabei kamen etwa umgerechnet 450€ zusammen, die in weitere soziale Projekte der Vinzentinerinnen fließen werden. Jeder kann also auch schon im kleinsten einen Beitrag für eine gerechtere Welt leisten. Wir müssen nur auch bereit sein, etwas dafür zu opfern. Wobei die Opferung eines Kleidungsstücks aus meinem Kleiderschrank, welches nur ein Bruchteil meines und unseres westlichen Überflusses darstellt, noch weit davon entfernt ist, was Papst Franziskus von uns einfordert. Er betont immer wieder – und wir sollten uns dies zu Herzen nehmen: Um die Welt ein Stück gerechter zu machen, müssen wir alle bereit sein, etwas zu verzichten.

Ich bin zutiefst dankbar, dass ich Teil dieser Begegnungsreise sein durfte. Die vielen Momente die ich erleben durfte. Positive wie Negative werden mich langfristig prägen. Besonders die entstandene Freundschaft mit Alina Sánchez, unserer stellvertretenden Reiseleitung und Übersetzerin erfüllt mich mit Freude. Mit ihrer Hilfe konnte ich so manche Frage an die Menschen stellen aber auch lustige Abenteuer in der Wüste Perus im Jeep erleben sowie alte Silberringe bei einem Straßenhändler auf einer Brücke kaufen.

Ins Gedächtnis prägte ich mir zudem eine junge Frau ein, kaum älter als ich wahrscheinlich, die an einer Straße mit Baby auf dem Arm stand und an Passanten versuchte, Süßwaren zu verkaufen. Auch erinnere ich mich an einen Mann, der zwischen zwei Hauptstraßen mit einem Schweißgerät und zwei Auffahrrampen saß, und auf zu reparierende Fahrzeuge wartete. Zurück in Deutschland dachte ich an beide oft am Morgen. Wo werden sie wohl heute schlafen, was werde ich heute essen und was werden sie wohl essen? Dieses Land ist so unfassbar reich an Biodiversität, schade, dass es bei der Bevölkerung nicht direkt ankommt. Beim Betreten einer Markthalle sah ich den ganzen Reichtum des Landes. Da kann kein Discounter aus unserer Region mithalten. Allein für den fruchtigen Geruch, hätte ich schon Eintritt bezahlt.

Besonders amüsant war es, als ich in einem öffentlichen Bus fuhr und ein Peruaner mich nach meiner Nationalität fragte. Er versuchte dann, mir sehr freundlich und ausführlich zwischen zwei Haltestellen die gesamte peruanische Geschichte zu erklären. Aber keine Chance, wir kamen nur bis zum Salpeterkrieg ca. 1879. War aber ein Interessantes Gespräch.

Auch in Zukunft wird es immer wieder neue Herausforderungen der Barmherzigen Schwestern in ganz Peru geben. Vergessen wir Südamerika nicht, gerade jetzt, wo oft der Fokus in anderen Regionen der Welt liegt. Wir sitzen alle gemeinsam im selben Boot, niemand kann sich allein retten. Denn wir sind alle Brüder und Schwestern, wie auch Franziskus nicht müde wird, uns immer wieder in Erinnerung zu rufen.

Südamerika hat mich nach meinem Aufenthalt in Bolivien 2022 zum zweiten Mal tief berührt. Ich hoffe, ich werde bald wieder dorthin aufbrechen dürfen. In jeder Pfarrei auf der ganzen Welt hat man als Christ ein Zuhause und jede Pfarrei ist ein Tor zur Welt. Selbst wenn Vieles aktuell aufgegeben werden muss und nicht weiter geht. Bei den Vinzentinerinnen durfte ich lernen:

„Arbeitet nach Kräften soweit Ihr könnt! Wenn die Kraft nicht mehr ausreicht, sperrt zu, legt den Schlüssel unter die Fußmatte, es wird eine Generation kommen, die wieder aufsperrt!“

Als Katholiken dürfen wir den Ewigkeitshorizont nicht verlieren. Den himmlischen, wie den irdischen.

Stefan Wottke